Donnerstag, 15. Mai 2008

DOK: Hooligans

Hooligans - Die dunkle Seite des Fussballs

Ein Film von Urs Schnell

Die Euro 08 steht vor der Tür. In die Vorfreude mischt sich Besorgnis, ja Angst. Werden neben Leidenschaft und Fussball-Lust auch Randale zum Thema? Wird die Gefahr von Hooligans schöngeredet? Der DOK „Hooligans“ befasst sich mit der dunklen Seite des Fussballs. Er zeigt Hintergründe zu einem Phänomen, das die populärste Sportart der Welt seit Jahren begleitet. Ob die Euro 08 wirklich zum Schweizer Sommermärchen wird, bezweifeln einige der Protagonisten im Film.
Hooligans, wie man sie kennt: Gewalt ist geil

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Ginger Bob war während Jahren Anführer der sogenannten Millwall F-Troop, einer berüchtigten Hooligan-Gang im Südosten der englischen Hauptstadt. Warum prügeln sich organisierte Gruppen von jungen Männern rund um Fussballspiele? Immer und immer wieder?
„Es ist schwer zu beschreiben. Es ist diese Energie. Energie pur. Du weisst, es ist schlecht. Aber es ist wie eine Sucht. Das Adrenalin schiesst hoch, und du willst den Kontakt mit dem Gegner. Der Kampf zieht dich an wie ein Magnet.“

Ginger Bob aus dem Südosten Londons

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Für den Film „Hooligans“ wollte Urs Schnell auch Schweizer Schläger vor die Kamera bekommen. Es war aussichtslos. Obwohl die heimische Hooligan-Szene - nach Höhepunkten in den neunziger Jahren - immer noch um die zweihundert Mann zählt. Diese Zahl nennen Insider bei der Zürcher Stadtpolizei. Vertreter der Zentralstelle für Hooliganismus in Zürich sagen aber auch, das grössere Problem als Hooligans seien heute gewaltbereite Fans in den verschiedenen Kurven der Nationalliga-Klubs, im besonderen Fans der Zürcher Südkurve oder der Basler Muttenzerkurve.

Hooligans in Aktion

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Leute aus der Muttenzerkurve sorgten am 13. Mai 2006 für den schwärzesten Moment im Schweizer Fussball. Der FC Basel verlor die Meisterschaft in letzter Minute. Basler Fans stürmten daraufhin das Feld. Die Fernsehbilder waren hässlich, die Meinung in den Medien gemacht: die Randalierer im St. Jakob-Park waren Hooligans.
„Nein, das waren nicht Hooligans“, sagt Thomas Gander, Leiter des Fanprojektes Basel, „das waren schockierte junge Fussballfans, die der emotionalen Belastung nicht Stand hielten. Die Situation damals hing mit einer Massendynamik zusammen, die sich aufgrund des späten Gegentors entwickelte.“

Tatsache ist, Fussballspiele bieten jungen Männern Möglichkeiten, die sie im Alltag vermissen: im Stadion leben sie Leidenschaft und Emotionen, spüren Energien, in einer ursprünglichen und wilden Form.
Jeder Fan kennt den Moment des „mit der Masse eins werden“. Ein gutes Spiel liefert dafür die Voraussetzungen. Was aber, wenn die gute Stimmung kippt, die Masse sich plötzlich unberechenbar zu verhalten beginnt?

Basel, 13.5.06: Hooligans oder überforderte Fans?

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Die schweizerischen Behörden haben für die kommenden Europameisterschaften das grösste Sicherheitsaufgebot bereitgestellt, das dieses Land zum Schutz eines Anlasses je gekannt hat. Staats- und Sportfunktionäre wollen und müssen alles im Griff haben, auch mögliche Ausschreitungen von Hooligans oder emotional überlasteten Fans.

Euro 08: nie dagewesene Sicherheitsmassnahmen

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Der Film „Hooligans“ diskutiert, ob aus der Ecke von Fans oder Hooligans Gefahr für die kommende Euro droht. Der Film fragt aber auch, wie sich Hooliganismus und Fankultur in den letzten dreissig Jahren entwickelt haben. Im Archiv des Schweizer Fernsehen gibt es dazu nur wenige Zeitdokumente. Eines davon ist „Faustrecht“, eine Milieustudie des Dokumentarfilmers Alain Godet aus dem Jahr 1993.

Basler Schläger 1993

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Heute ist eine solche Milieustudie aufgrund der Abneigung und der damit verbundenen Verschlossenheit, die die Szene den Medien gegenüber zeigt, kaum mehr möglich. Immerhin, für „Hooligans“ tritt ein Mann noch einmal auf, der sich in den wilden Neunzigern unter dem Pseudonym „Frosch“ einen Namen machte. Heute ist Frosch ein braver 35-Jähriger, der ein neues Leben führt. Zur Euro 08 meint er: „Am liebsten würde ich in die Ferien gehen, weit weg. Ich habe ein mulmiges Gefühl.“

1993 ein Schläger, heute geläutert: ein Mann namens "Frosch"

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Grundsätzlich pessimistisch gibt sich im Film auch der deutsche Kultautor André Pilz: „Ich hab das Gefühl, dass die Auseinandersetzungen brutaler werden. In naher Zukunft wird es zu einem richtig grossen Knall kommen.“
Pilz hat als Underdog die Szene während Jahren miterlebt. Seine Erfahrungen veröffentlichte er 2005 im sehr direkten Roman „Weine nicht, mein Schatz“:
„Mittags trafen sich alle in der Bahnhofshalle. Wir verschmolzen zu einer Einheit, obwohl wir völlig verschieden waren. Wir hielten zusammen, obwohl wir aus unterschiedlichen Welten kamen und ganz andere Feinde, Freunde, Träume hatten. Wir waren hier um Dampf abzulassen, den Frust und den Schmerz und die Verzweiflung rauszukotzen, die Gespenster zu vertreiben, die uns zu Tode hetzten, und wir taten es gemeinsam, weil es gemeinsam so viel leichter fiel.“

Kultautor André Pilz: jahrelang in der Szene dabei

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Autor und Editor

Urs Schnell arbeitet seit 1993 für das Schweizer Fernsehen. Ab 1998 realisierte der Berner verschiedene längere Dokumentarfilme, darunter „Der Pinguin Mann - Leidenschaft und Tod im Eis“ (2001). An seinen letzten Filmen hatte Dodo Hunziker mit Schnitt und Sounddesign wesentlichen Anteil.

Buchhinweise (Auswahl):
Bausenwein, Christoph: Geheimnis Fussball. Verlag Die Werkstatt. Göttingen, 2006
Biermann, Christoph: Wenn du am Spieltag beerdigt wirst. Kiepenheuer&Witsch. Köln, 1995
Blaschke, Ronny: Im Schatten des Spiels. Verlag Die Werkstatt. Göttingen, 2007
Buford, Bill: Geil auf Gewalt. Carl Hanser Verlag. München/Wien, 1992
Gebauer, Gunter: Poetik des Fussballs. Campus Verlag. Frankfurt am Main, 2006
Pilz, André: Weine nicht, mein Schatz. Archiv der Jugendkulturen. Berlin, 2005