Samstag, 24. März 2007

HIRNVERLETZT - Verkehrsunfälle und ihre Folgen

Was heisst es, wenn nach einem schweren Verkehrsunfall ein Schädelhirntrauma zurückbleibt? Welches sind die Langzeitfolgen? Was bedeutet es für das familiäre Umfeld, den Freundeskreis, den Arbeitgeber, wenn Betroffene nach einem schweren Verkehrsunfall verändert ins Leben zurückkehren? «DOK»-Autorin Annemarie Friedli zeigt dies in Ihrem Film anhand der bewegenden Schicksale von fünf jungen, hirnverletzten Menschen.

Auch dieses Jahr veröffentlicht die Schweizerische Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) neue Erfolgsmeldungen: weniger Verkehrstote, weniger schwere Unfälle - soweit so gut! Aber welche Schicksale verbergen sich hinter den rund 5'000 Schwerverletzten, die der Verkehr alljährlich fordert?
Der Film zeigt fünf Menschen, die in jungen Jahren bei Verkehrsunfällen Kopfverletzungen erlitten haben und nun für immer gegen Langzeitschäden kämpfen müssen. Sie alle sind von einer Sekunde auf die andere in ein anderes Leben katapultiert worden. Basil, damals 20 Jahre alt verunglückte auf dem Heimweg von der Disco, Simon, ebenfalls 20, auf dem Heimweg nach einem Rekrutenfest. Matthias wurde als knapp zehnjähriger Bub auf dem Fussgängerstreifen angefahren, Simone als 25-Jährige von einem Feuerwehrauto überfahren. Der Velofahrer Wolfgang kollidierte vor kurzem mit einem anderen Fahrrad. Während Wolfgang sich noch in der Rehabilitationsklinik befindet, hat Basil seinen Unfall vor 18 Jahren erlitten. Schon früh musste Basil erkennen, dass ihm niemand mehr helfen konnte. Matthias hingegen tut es noch heute weh, dass er nicht mehr so ist wie vorher, und Simone sagt: «Ich bin hirnverletzt, na und, ich habe mich fürs Kämpfen entschieden».

Neben den direkt Betroffenen wird in diesem eindrücklichen Film auch gezeigt, wie ein solch tragisches Ereignis ganze Familien- und Freundeskreise in Mitleidenschaft zieht. «Keine Eltern wünschen sich das zu erleben, was wir erfahren mussten. Aber wir sind froh, dass unser Sohn wenigstens überlebt hat», sagt Maja Schneebeli. Sie ist die Mutter von Simon, der seit seinem Unfall als Tetraplegiker Pflege rund um die Uhr benötigt.

Noch mitten in der Rehabilitation in der Klinik Bellikon steckt Wolfgang Schramm. Er wollte nach Feierabend nur noch schnell eine kleine Velotour um den Greifensee machen. In einer unübersichtlichen Kurve stösst er mit einem anderen Fahrradfahrer zusammen. Trotz Helm erleidet er bei diesem heftigen Aufprall schwere Hirnverletzungen.

Da ist der Familienvater Basil aus Luzern, der als ausgebildeter Detailhandelsangestellter eigentlich ganz hoch hinaus wollte mit seiner Karriere. Er stand an der Schwelle zum Erwachsenenleben, als ihn ein schwerer Autounfall von der Karriereleiter warf. Heute lebt der 39jährige fast ebenso lange mit seiner schweren Hirnverletzung wie zuvor als gesunder Heranwachsender. Er habe gelernt, damit umzugehen. Seine Defizite seien ihm vertraut. Ihm ist es gelungen, die Veränderungen in seinem Leben zu akzeptieren und ihnen sogar Positives ab zu gewinnen. Er sagt, der Unfall habe ihm Türen geöffnet, die ihm in einer Karriereleiter wohl versperrt geblieben wären. „Ich habe meine Kinder als Hausmann miterzogen, habe ihr Heranwachsen miterlebt – das wäre mir ohne den Unfall wohl nicht möglich gewesen!

Simone hat das Schicksal vor fünf Jahren getroffen. Auf einer Kreuzung fuhr ein Feuerwehrauto mit übersetzter Geschwindigkeit in ihr Auto. Ihre Mutter kam dabei ums Leben, Simone erlitt ein schweres Schädelhirntrauma. Die junge Frau will sich jedoch nicht entmutigen lassen. Sie sagt, sie habe sich für’s Kämpfen entschieden. „was einem nicht umbringt, macht stärker“, meint Simone. Sie sei zwar hirnverletzt, lasse sich ihr Leben jedoch nicht durch diese Verletzung vermiesen und mit einem schelmischen Lächeln fügt die lebensfreudige junge Frau an: „gute Mädchen kommen in den Himmel und böse Mädchen kommen überall hin.“

Der 20jährige Matthias lebt schon zehn Jahre lang mit den Einschränkungen, die ihm seine Hirnverletzung auferlegt. Er ist auf einem Fussgängerstreifen angefahren worden. Im Moment macht er eine Anlehre zum Bauern. Vor allem zu den Tieren hat er ein sehr inniges Verhältnis. Das Erwachsenwerden macht ihm jedoch noch Angst. Aber auch er vermittelt Lebensfreude.

Auch Simi war voller Zukunftspläne, als er auf dem Rücksitz eines Autos so schwer verletzt wurde, dass er seither gelähmt im Rollstuhl sitzt und sich nur sehr beschränkt ausdrücken kann. Gleich nach der Rekrutenschule wollte er nach Kanada auswandern. Nach anderthalb Jahren in der Rehabilitation lebt Simi heute in einem Pflegeheim. Mit all den ihm zur Verfügung stehenden beschränkten Möglichkeiten vermittelt Simi jedoch ein Gefühl intakter Lebensfreude. Maja, seine Mutter, sagt denn auch: „Simi’s Ausstrahlung gibt mir die Bestätigung, dass jedes Leben lebenswert ist, egal wie. Man kann aus jedem Leben etwas machen!“

Die Autorin:

Annemarie Friedli, 1947 in Zürich geboren, seit 1972 bei SF DRS als Redaktorin und Autorin in verschiedenen Sendungen (Rundschau, Quer, Spuren der Zeit, DOK)
Filme für DOK seit 2000:
Alkoholiker (2000)
Hirnschlag (2002)
50 Jahre Ausland SF DRS (Spuren der Zeit - 2003)
Entstellt (2004)

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